Hoffen durch Handeln – Bericht vom INFAG-Grundlagenseminar 2025

Eine Einführung in die Tiefenökologie gestaltete Gabi Bott beim diesjährigen INFAG-Grundlagenseminar vom 11.-13. Juli 2025 in Haus Klara in Oberzell.

Ein Heftpflaster, eine Pflanze und eine Brille. Darum im Stuhlkreis 7 Personen. Eine Person wählt eines der Symbole aus der Mitte und erzählt, in welcher Weise sie tätig ist. Die drei Symbole stehen für den großen Wandel, der sich aktuell vollzieht. Für einen Wandel, der noch nicht als große Massenbewegung sichtbar ist, aber durchaus an vielen Orten in Form kleiner Projekte durchscheint. Dies in einer Weltlage, wo viele Systeme auseinanderdriften und teilweise nicht mehr funktionieren. Wo dennoch das Motto gesellschaftlich-politisch lautet „business us usual“. Projekte des Wandels erscheinen durch Aufhaltende Aktionen (Heftpflaster), durch Analyse und den Aufbau von Alternativen (Pflanze) sowie durch einen Werte- und Bewusstseinswandel (Brille). Durch den Austausch wird deutlich, wie die Einzelnen zum Wandel, zur Transformation beitragen und welche Schwierigkeiten es dabei gibt.

Runde der 29 Teilnehmenden beim Grundlagenseminar 2025 (Foto: Br. Stefan Federbusch)

Hoffen durch Handeln

Diese Übung war eine von vielen, die die 29 Teilnehmenden am diesjährigen INFAG-Grundlagenseminar vom 11.-13. Juli 2025 in Haus Klara in Oberzell erlebten. Es stand unter dem Motto „Hoffen durch Handeln“ und bot eine Einführung in die Tiefenökologie. Die Trainerin Gabi Bott aus dem Ökodorf Siebenlinden (45 km nördlich von Wolfsburg) zeigte auf, dass es bei der Tiefenökologie weniger um eine Methode, sondern mehr um eine Haltung geht, die alle Lebensbereiche durchzieht „wie Schokoladensoße“. Wie kann ich dem Chaos begegnen, ohne verrückt zu werden, ist eine Frage, die sich die Menschen in einer Zeit zunehmender Unübersichtlichkeit und Verunsicherung zunehmend stellen.

„Den Herausforderungen und Unsicherheiten dieser Zeit wie das Kollabieren immer mehr lebender Systeme, die Klimakatastrophe, das Artensterben, gesellschaftliche und globale Ungerechtigkeit, Kriege, Hunger etc. fühlen sich zunehmend viele Menschen nicht gewachsen und reagieren mit Ohnmacht, Angst oder sich überfordernden Aktivismus.

Tiefenökologie bietet einen Raum, diese Gefühle nicht zu verdrängen, sondern sie zu spüren und zu benennen und die Erfahrung zu machen, dass Du daran nicht zerbrichst, sondern Kraft gewinnst. Das Wichtigste an dieser Arbeit ist, dass unser Wissen erfahrbar wird, Herz und Verstand in Verbindung sind und wir so zum Handeln kommen, aus uns selbst heraus, mit einem Bewusstsein für das Ganze! Das lässt uns die Verantwortung übernehmen, für uns selbst und für das, was in der Welt geschieht. Tiefenökologie kann von der Ohnmacht, vom erstarrt sein zum Handeln führen. Durch Übungen wird dieser Prozess erfahrbar.“

So war auf der Ausschreibung und Einladung zu lesen. Dementsprechend bestand das Wochenendseminar neben einigen grundlegenden Informationen vorrangig aus Übungen, die genau dies in unterschiedlichen Varianten immer wieder erlebbar machten: Wie nehme ich unsere Situation wahr? Welche Gefühle verbinden sich damit? Wo sind meine Kraftquellen? Wie komme ich ins Handeln?

Die Spirale der Tiefenökologie (Foto: Br. Stefan Federbusch)

Die Landkarte der Tiefenökologie

Die Landkarte der Tiefenökologie besteht aus einer Spirale mit vier bzw. fünf Aspekten. Sie beginnt mit der Dankbarkeit. Somit war die Vorstellrunde mit der Frage verbunden: Wofür bin ich dankbar? Der zweite Aspekt lautet: Den Schmerz in der Welt würdigen. Dies, um nichts auszuklammern vom Leben, getreu dem Motto: Was ich nach hinten verdränge, nimmt die Kraft nach vorne. Dennoch entscheiden: Was lasse ich an mich herankommen? Wie nehme ich teil am Leben? Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille: Liebe und Trauer, Gerechtigkeit und Wut, Hoffnung und Verzweiflung, Mut und Angst… Der Schmerz als ein SOS-Signal, das Aufmerksamkeit möchte.

Der dritte Schritt ist der Standortwechsel, um mit neuen Augen zu sehen. Die Tiefenökologie speist sich aus dem alten Wissen der Indigenen und dem neuen Wissen der Systemtheorie, der Chaostheorie und der Quantenphysik. Die Indigenen raten, in den Mokasins eines Anderen zu gehen, um ihn zu verstehen. Der Standortwechsel kann ein (jahre)langer Prozess sein, aber es gibt auch „Aha-Momente“ und ein intuitives Erkennen, warum etwas wahr ist. Gesellschaftspolitisch scheint dies der Punkt, der immer schwieriger wird, da es zu „Blasen-Bildung“ kommt, zu Abschottung und fehlender Dialog- und Kommunikationsbereitschaft.

Das Seminar war geprägt von vielen praktischen Übungen (Foto: Br. Stefan Federbusch)

Der vierte Schritt lautet: Zum Handeln kommen – weitergehen. Damit dies gelingen kann, gibt es einen Zwischenschritt: die „Tiefenzeit“. Sie macht die Einbindung in das große Ganze bewusst, in Vergangenheit und Zukunft. Auf der einen Schulter sitzen unsere Ahnen, auf der anderen unsere Kinder und Enkel, die nachfolgenden Generationen. Ich empfinde mich als Teil einer Kontinuität. Ich bin im Kontakt zu den Bedingungen, dass es mich gibt und dass ich jetzt lebe. Ich bin dankbar für alles Lebendige vor mir und das, was sie designt haben. Das machten die Übungen „Das evolutive Erbe der Tiere“ und „Die 7. Generation“ deutlich. Soweit wir wissen, ist das Leben bislang nur ein einziges Mal entstanden, somit ist alles mit allem verbunden.

Gabi Bott betonte: „Glaube niemandem, der von sich behauptet, er weiß, wo es langgeht.“ Es gilt, die Unwissenheit lieb zu gewinnen. Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht. Und dennoch: Was ich tue, wie ich handle, ist ein Beitrag dazu und nicht zu unterschätzen. Ich bin als Knotenpunkt ein Teil im Netzwerk. Vertraue dir selbst!

Meine persönliche Zukunftsvision

In diesem Sinne ging es abschließend um meine persönliche Zukunftsvision, der ich mich in sechs Fragen angenähert habe:

  • Wie sieht meine schönste Vision aus, wie ich in fünf Jahren leben werde?
  • Welche inneren und äußeren Ressourcen stehen mir schon jetzt zur Verfügung?
  • Welche inneren und äußeren Ressourcen benötige ich noch bzw. muss ich mir noch aneignen?
  • Wo und wie stehe ich mir selbst im Weg? Wo und wie blockiere ich mich selbst im Leben?
  • Was hilft mir, diese Blockaden zu überwinden? Was würde mir helfen?
  • Wie sieht mein erster konkreter Schritt in den nächsten 14 Tagen aus?

Als Ermutigung dazu: Es gibt nicht nur die Gefahr, zu viel zu riskieren, sondern auch zu wenig!

Gabi Bott verstand es aufzuzeigen, dass die Tiefenökologie den Schwerpunkt auf die Leiblichkeit legt, auf die Wahrnehmen und das Erspüren dessen, was gerade da ist. Ziel ist es, mit dem Herzverstand wieder ins Handeln kommen: von der Verzweiflung zur Ermutigung, von der Resignation in Kraft und Mut, aus der Erstarrung ins Handeln. Indem auch die Gefühle wie Angst und Ohnmacht geteilt werden, kann spürbar werden, was sich darunter an Lebensfreude, Vitalität, Mut und Kraft verbirgt.

Mich persönlich hat das Bild des Schmetterlings angesprochen. Es braucht eine Weile, bis sich die Zellen durchsetzen können, die den Transformationsprozess in Gang setzen und aus der Raupe den Schmetterling entstehen lassen. Gemäß der Geschichte von der Schneeflocke, wo es gerade die dreimillionen-siebenhundert-einundvierzigtausend-neunhundert-dreiundfünfzigste Schneeflocke ist, die den Ast abbrechen lässt.

Verbundenheit mit der Schöpfung und Verbundenheit miteinander in ähnlichen Fragestellungen – ein (nicht ganz komplettes) Gruppenbild der Teilnehmenden beim Grundlagenseminar 2025 (Foto: Br. Stefan Federbusch)

Eucharistie als Feier der Tiefenökologie

Die Tiefenökologie speist sich aus unterschiedlichen Quellen, etwa aus christlichen und aus buddhistischen. Dass auch die Eucharistie in gewissem Sinn eine Feier der Tiefenökologie ist, zeigte der Abschlussgottesdienst, den Bruder Stefan Federbusch mit den Teilnehmenden zelebrierte. Eucharistie bedeutet vom griechischen Wortsinn Danksagung. Sie dankt für das Leben in all seiner Fülle und für das Handeln Gottes an uns Menschen. Sie würdigt den Schmerz in der Welt und hält unsere Handlungsblockaden Gott hin (Schuldbekenntnis / Kyrie). Durch das Hören des Wortes Gottes regt sie zu einem Standortwechsel an und dazu, die Welt mit neuen Augen, mit den Augen Gottes zu sehen. Sie ist eine Tiefung, in der die Wandlung geschieht, nicht nur der Gaben von Brot und Wein, sondern eine Veränderung der Mitfeiernden (zumindest idealtypisch), indem sie sich eingebunden wissen in die Ahnenreihe der Vorfahren des Glaubens und sich ausrichten auf Gottes neue Welt. Letztlich führt die Bestärkung in die Sendung, in das Handeln im Alltag.

Das Seminar bot keine Patentrezepte und Lösungen für die Krisen unserer Zeit, aber den körperbetonten persönlichen Zugang des Spürens und Wahrnehmens sowie der Suche nach den eigenen spirituellen Quellen, um mit Herzverstand wieder neu ins Handeln zu kommen und weiterzugehen. Mit seinem persönlichkeitsorientierten und emotionalen Ansatz war es im guten Sinne „aufwühlend“ und bewegend und Anstoß, neu motiviert in Bewegung zu kommen. Es wird zumindest länger nachklingen und die ein oder andere Übung in Erinnerung bleiben. Ein Gradmesser wird sein, inwieweit es mir gelingt, meine persönliche Zukunftsvision tatsächlich umzusetzen und mein Leben tiefenökologisch zu gestalten… und das mit Schokoladensoße und in Dankbarkeit.

Br. Stefan Federbusch