Bischof Dr. Franz Jung zu Besuch im Kloster Oberzell

Im Refektorium von Kloster Oberzell

Am 24. Februar 2023 verbrachte der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung einen Tag in den Einrichtungen der Oberzeller Franziskanerinnen. Sein Fazit: „Ein Hilfeangebot, das mir alle Bewunderung abringt“

Zell am Main/Würzburg/St. Ludwig. Der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung ist beeindruckt. Nach über zehn Stunden, die er an diesem Freitag in den Einrichtungen der Oberzeller Franziskanerinnen verbracht hat, würdigt er das „differenzierte Hilfeangebot, das mir alle Bewunderung abringt“. Auf Einladung von Generaloberin Sr. Dr. Katharina Ganz lernte der Bischof am 24. Februar die Arbeit der Oberzeller Schwestern und deren Mitarbeiter*innen in den verschiedenen Einrichtungen kennen, die alle der Gründungsidee von Antonia Werr verpflichtet sind, nämlich Mädchen und Frauen in Krisensituationen Hilfestellung zu leisten. Den ganzen Tag dabei waren auch Kilian Martin, persönlicher Referent des Bischofs, und Matthias Hart, Verwaltungsleiter der Kongregation.

Es war der erste offizielle Besuch des Bischofs im Kloster Oberzell seit seinem Amtsantritt im Jahr 2018. Zunächst begrüßte Christine Scheller, kommissarische Einrichtungsleiterin, die kleine Abordnung im Antoniushaus, dem klostereigenen Alten- und Pflegeheim. Hier leben aktuell 33 Schwestern und sieben weltliche Frauen. „Auf der einen Seite sind wir ein ganz normales Altenheim, das wie jede andere Einrichtung den gesetzlichen Vorgaben folgen muss,“ wandte sich Christine Scheller an den Bischof, „andererseits sind wir sehr besonders.“ Der Tagesablauf sei stark angelehnt am klösterlichen Leben. Feste Gebetszeiten werden gelebt und christliche Feste im Kirchenjahr gefeiert. Das Konzept zeichne sich unter anderem dadurch aus, dass der Pflegebedarf mit den Bewohnerinnen gemeinsam festgestellt werde und dabei der Erhalt der Selbstständigkeit im Vordergrund stehe. Die Mitarbeiterinnen in der Betreuung bieten Beschäftigungen an, die den Frauen Freude machen, sie fordern und fördern. Der Rundgang durch das Antoniushaus endete in der hauseigenen Kapelle, in der die Schwestern den Bischof mit einem Segenslied überraschten.

Nächster Halt: Die Wohngemeinschaft Berscheba in der Peterpfarrgasse in Würzburg, eine sozialtherapeutische stationäre Einrichtung für Frauen zwischen 17 und 30 Jahren mit psychischer Erkrankung. Hier wartete Einrichtungsleiterin Ute Berger, die dem Bischof Konzept und Arbeit vorstellte. Die Wohngemeinschaft Berscheba biete den jungen Frauen einen Lebensraum mit intensiver sozialpädagogischer Begleitung an, an dem sie nach traumatisierenden Lebenserfahrungen und -umständen mit all ihrer Not, mit Scheitern und Misslingen, mit allen Abbrüchen und mit ihren ganz eigenen Überlebensstrategien ankommen dürfen und willkommen seien, so Ute Berger. Mitarbeiterinnen bringen ihnen Wertschätzung entgegen, gestalten eine freundliche und heilsame Umgebung und bieten zuverlässige Begleitung an. „Mit sozialtherapeutischer Unterstützung können die Bewohnerinnen sich selbst kennen- und verstehen lernen.“ Ganz neue Lebenserfahrungen sollen ermöglicht werden: Wertschätzung, Zuwendung, Zutrauen, Interesse und Selbstwirksamkeit. „Langsam und vorsichtig beginnen Frauen sich selbst, anderen Menschen und schließlich auch dem Leben wieder zu vertrauen. Suizidalität kann dem Überlebenswillen und sogar der Lebensfreude langsam weichen.“ Die teils schwer belasteten Lebensgeschichten gelte es im Rahmen eines professionellen Beziehungsangebotes zu betrachten und dabei die eigenen Ressourcen in der Lebensgeschichte zu erkennen und zu würdigen, erklärte die Einrichtungsleiterin weiter. Mithilfe verschiedenster sozialtherapeutischer Angebote können die Bewohnerinnen die eigenen Ressourcen (wieder-)entdecken, Sehnsüchten und teils verschütteten Lebenswünschen auf die Spur kommen, neue Perspektiven und notwendige Strategien zur Realisierung entwickeln und üben, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, um zunehmend mehr eigenständig und selbstbestimmt leben zu können.

Nach einem kleinen Rundgang ging es für die Gruppe weiter in die Huttenstraße ins Haus Antonia Werr. Fachbereichsleiterin Karola Herbert schilderte kurz die Geschichte des Hauses. Ursprünglich als Mädchenheim genutzt, steht es seit 1989 für Frauen in Krisensituationen zur Verfügung. 2019 startete eine umfangreiche Sanierung, die im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde. Eine Krise könne ganz unterschiedliche Ursachen haben, erklärte Karola Herbert. Schicksalsschläge oder schwerwiegende Ereignisse können Grund für eine kurzzeitige oder längerfristige Aufnahme sein: die Orientierung in problematischen Lebenssituationen, der Verlust der Wohnung, die Neuausrichtung nach dem Aufenthalt in einer psychosomatischen oder psychiatrischen Klinik oder gar nach der Haft, die Suche nach neuen Lebenskonzepten und vieles mehr. „Wir begleiten die Frauen in ihrer Lebenswelt, ihrer Realität“, betonte die Fachbereichsleiterin. Auch die weltlichen Mitarbeiterinnen würden Seelsorge betreiben. „Wir begegnen den Frauen mit Wertschätzung und Verständnis für ihre Situation. Wir bieten Beziehung an, entwickeln mit ihnen Perspektiven. Wir würdigen auch die Seiten an ihnen, die andere Menschen als befremdlich ansehen, die ihnen aber als Bewältigungs- und Überlebensstrategie gedient haben.“

Durch sein Ehrenamt in der Bahnhofsmission kennt Bischof Franz Jung solche Krisensituationen  aus der Begegnung mit den Menschen dort und konnte manche Parallelen ziehen. Sowohl im Wohnverbund Berscheba als auch im Haus Antonia Werr fragte er gezielt nach: Wie betroffene Frauen überhaupt von den Angeboten der Oberzeller Franziskanerinnen erfahren, ob sie auch in Sachen Ausbildung und Beruf gefördert werden oder wie die Sozialpädagoginnen feststellen, wann eine Frau bereit ist, wieder auszuziehen. Auch die Finanzierung spielte in den Gesprächen eine Rolle und sowohl die Einrichtungsleiterinnen als auch Generaloberin Sr. Katharina machten deutlich: Ohne Bezuschussung, Eigenleistungen der Trägerin sowie Spenden wären viele Angebote gar nicht möglich.

Standortwechsel: Im rund 40 Kilometer entfernten St. Ludwig wartete bereits ein kleines Empfangskomitee vor dem Antonia-Werr-Zentrum auf den bischöflichen Besuch. Geschäftsleiterin Anja Sauerer, Erziehungsleiterin Carina Enderes und Schwester Agnella Kestler. Die Antonia-Werr-Zentrum GmbH (AWZ) ist eine heilpädagogisch-therapeutische Einrichtung der Jugendhilfe für Mädchen und junge Frauen (Alter von 11 bis ca. 21 Jahren) in schwierigen, zum Teil aus traumatisierenden Lebenssituationen. Das AWZ ist wie ein eigenes kleines geschütztes Dörfchen mit Wohnhäusern, Parkanlage, Schule und Ausbildungsstätten. Bei seinem Rundgang durfte der Bischof in zwei Wohngruppen eintreten, in denen jeweils ein Mädchen selbst die Führung übernahm. Die jungen Frauen zeigten selbstbewusst ihr Reich und erklärten dem Besuch ihre Tagesabläufe. Beim anschließenden Austausch holte sich der Bischof manchen Rat für den Umgang mit traumatisierten Menschen. Er führe selbst oft Gespräche mit Betroffenen, die eine jahrelange Therapie hinter sich hätten, aber einfach nicht von ihrem Trauma loskämen.

Anja Sauerer betonte, wie wichtig es ist, Wunden anzuerkennen. „Zu uns kommen Mädchen, die  bereits drei Pflegefamilien und zwei Heime hinter sich haben. Warum sollten sie uns vertrauen?“ Man müsse den Mädchen immer wieder die Hand reichen, ihnen klar machen, dass sie gut und wertvoll sind, ihnen sagen: „Du bist nicht das Trauma“. Den Lohn ihrer spirituellen Traumapädagogik sehen die Erzieher, wenn die Mädchen bereit sind, weiterzuziehen, wie Carina Enderes es beschrieb: „Sie gehen hier mit besonderen sozialen Fähigkeiten raus.“ Viele Ehemalige halten bis heute Kontakt zum Antonia-Werr-Zentrum.

Nach über zehn Stunden an fünf verschiedenen Orten endete der Bischofsbesuch ähnlich wie er begonnen hatte: Ein Gottesdienst in der Oberzeller Kirche hatte den Tag eingeläutet, eine gemeinsame Vesper in der Klosterkirche St. Ludwig rundete ihn ab. Gebete um den Frieden standen an diesem Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine im Mittelpunkt. Auch hier engagieren sich die Oberzeller Franziskanerinnen, denn sowohl im Haus Antonia Werr als auch auf dem Klostergelände leben aus der Ukraine geflüchtete Frauen und Kinder.

In allen Bereichen setzen die Schwestern und die Mitarbeiter*innen ihrer Einrichtungen den Sendungsauftrag der Gründerin Antonia Werr fort, der bis heute nichts an seiner Aktualität verloren hat: für Menschen da sein, die auf der Schattenseite des Lebens stehen; Mädchen und Frauen in benachteiligenden Lebenssituationen begleiten. Antonia Werr hatte eine positive Sicht vom Menschen. Es gab für sie keine „hoffnungslosen Fälle“. So sehen auch die Oberzeller Schwestern ihre Aufgabe in der Kirche: „Wir achten die Würde jedes Menschen, geben Frauen eine Stimme und ermutigen zum Neubeginn.“

Als Kongregation päpstlichen Rechts sind die Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu (so der offizielle Name der Oberzeller Franziskanerinnen) nicht dem Diözesanbischof unterstellt und erhalten auch keine Kirchensteuergelder. Aber sie sind Teil der katholischen Kirche und leisten vor Ort bedeutende caritative und seelsorgerische Arbeit. Wie differenziert und kleinteilig diese Arbeit für Mädchen und Frauen in Not ist, betonte der Bischof selbst am Ende des Tages: „Das Anliegen der Schwestern ist nicht einfach nur etwas für die Menschen zu tun, sondern mit den Frauen gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln.“ Deshalb gab Generaloberin Sr. Katharina Bischof Jung einen Wunsch mit auf den Nachhauseweg: „Das Kloster Oberzell und seine Einrichtungen sollten im Strategieprozess des Bistums eine Rolle spielen – angefangen beim Erhalt unserer beiden Klosterkirchen bis hin zur finanziellen Unterstützung unserer Arbeit.“

Video des Bischofsbesuchs: https://www.youtube.com/watch?v=v-yyV72D47o

Quelle­: www.oberzell.de